March 2021

"Es geht nicht ohne Digitalisierung"

Die Wärmewende braucht Intelligenz. Thomas Koller, Geschäftsführer des auf den Energiemarkt spezialisierten Big-Data-Spezialisten Enersis, betont im Interview mit e|m|w trends wie wichtig die KI-gesteuerte Analyse von Massendaten für eine erfolgreiche Wärmeplanung ist. Städte und Gemeinden können bei der Planung eines Wärmekonzepts auf die Daten unzähliger Vergleichskommunen zurückgreifen und so viel Zeit und Geld sparen. Vorausgesetzt, die Daten sind auch wirklich verfügbar. Doch daran hakt es hierzulande noch.

e|m|w.trends:
Der Wärmesektor ist das Sorgenkind der Energiewende. Alle Sektoren haben ihr Klimaziel für das Jahr 2020 erreicht, nur der Gebäudebereich nicht. Herr Koller, woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Koller:
Der Wärmemarkt läuft der Entwicklung schon seit langem hinterher. Es gibt einen zeitlichen Verzug – weniger einen konzeptionellen als vielmehr einen in der Umsetzung. Aus unserer Sicht liegt das ganz wesentlich an drei Faktoren: Zum Ersten ist der Immobiliensektor primär finanzgetrieben, Renditeerwartungen stehen im Vordergrund.
Klimaschutzmaßnahmen werden nur dann umgesetzt, wenn sie gesetzlich vorgeschrieben sind. Zweitens gibt es wenige Branchen, die bei der Digitalisierung noch so viel Nachholbedarf haben wie die Immobilienbranche. Vielerorts
sind Excel-Listen noch prägend, Daten sind nicht transparent verfügbar. Das blockiert die Identifizierung möglicher Potenziale, die Simulation großflächiger Maßnahmen ist schlichtweg nicht möglich. Zum Dritten: Der Gebäudesektor
ist sehr individuell, jedes Gebäude ist anders. Für eine Skalierung von Sanierungsmaßnahmen sind daher intelligente Ansätze erforderlich.

e|m|w.trends:
Automatisierte Analysen sind das Geschäftsmodell von Enersis. Was können digitale Lösungen zur Verbesserung der Klimabilanz im Gebäudesektor beitragen?

Koller:
Aus unserer Sicht reden wie hier nicht von einem Beitrag, sondern von einer Grundvoraussetzung. Man muss digitalisieren, um die Transformation des Gebäudesektors überhaupt anstoßen zu können. Ohne geht es nicht. Auf
Basis transparenter und nutzbarer Daten lässt sich unglaublich viel bewegen. Wir arbeiten beispielsweise aktuell zusammen mit Partnern an einem Konzept, großflächig automatisierte, KI-gestützte Sanierungspläne für Quartiere,
Stadtteile oder sogar ganze Städte zu erstellen. Technisch ist das möglich, es fehlt hierzulande aber allzu oft an den nötigen Daten. Nicht, weil sie nicht vorhanden sind, sondern weil sie nicht bereitgestellt werden.

e|m|w.trends:
Was ist die Ursache für die mangelnde Datenverfügbarkeit?

Koller:
Für unsere Analysen müssen wir wissen: Welche Heizungen sind in den Gebäuden verbaut, in welchen energetischen Zustand sind die Gebäude und wie sehen die Gebäude konkret aus? Allgemeine Gebäudedaten erheben hierzulande
im Regelfall die Landesvermessungsanstalten und stellen diesen den Gemeinden zur Verfügung, was letztere aber oftmals gar nicht wissen. Das Wissen über die energetische Bilanz der Gebäude haben die Energieversorger, die geben es aber häufig nicht weiter. Genauso wenig wie die Schornsteinfeger, die Kenntnis über die verbauten Heizsysteme haben. In Ländern wie der Schweiz oder Dänemark ist das anders. Dort sind die Gebäudedaten zentral für die Gemeinden verfügbar und die Energieversorger verpflichtet, ihre Daten an die Kommunen weiterzugeben. Wir müssen
auch hierzulande die bürokratischen Schranken abbauen, damit die Wärmewende vorankommt.

e|m|w.trends:
In Baden-Württemberg nimmt die Landesregierung jetzt die Städte und Gemeinden in die Pflicht und verlangt eine kommunale Wärmeplanung. Ist das der richtige Ansatz?

Koller:
Definitiv. Was Baden-Württemberg macht, sollte anderen Ländern ein Vorbild sein, gerade auch im Punkt der Digitalisierung. Denn Baden-Württemberg macht es jetzt so wie die Schweiz oder Dänemark: Die Energieversorger sind gesetzlich verpflichtet, den Gebietskörperschaften sämtliche verfügbare Daten zur Verfügung zu stellen –
und zwar in digitaler Form. Das bietet uns ganz andere Möglichkeiten.

e|m|w.trends:
Wie kommt Enersis dabei ins Spiel?

Koller:
Wir bieten die digitale Plattform für die kommunale Wärmeplanung. Wir helfen den Kommunen, die Daten einzusammeln, wir bringen sie in eine strukturierte Form, stellen Transparenz her und unterstützen so den individuellen Planungsprozess der kommunalen Wärmeplanung. Zugleich ermöglichen unsere digitalen Zwillinge auch die Kontrolle der gewählten Maßnahmen. Denn Bürger und andere Stakeholder wollen wissen, was die Maßnahmen in
den nächsten fünf, zehn oder 15 Jahren bringen – nicht erst 2050.

e|m|w.trends:
Welche Rolle spielt KI dabei?

Koller:
KI hilft uns dabei, die Städte in unserem System gezielt zu vergleichen und so Best-Practice-Ansätze herauszufiltern. Daraus großflächige Sanierungsprojekte abzuleiten, ist KI in Reinform, da hier aus Massendaten individuelle Konzepte
extrahiert werden. Das hat einen ungemeinen Mehrwert. Die Maschine gibt fachlich inhaltliche Empfehlungen, die selbst der erfahrenste Projektingenieur so nicht liefern könnte.

e|m|w.trends:
Trotzdem: Wenn es um Maßnahmen zur Belebung der Wärmewende geht, ist nur selten das Wort Digitalisierung zu hören.

Koller:
Und das ist das Grundproblem. Aus unserer Sicht werden nicht nur die Potenziale der Digitalisierung unterschätzt. Es fehlt auch das Grundverständnis, dass die Wärmewende ohne nutzbare Daten verlangsamt und verteuert wird. Das
muss sich ändern. Wir haben bei der Wärmewende keinen zweiten Anlauf. Wir sind schon zu spät und müssen jetzt den richtigen Weg einschlagen. Übrigens auch aus wirtschaftlicher Sicht. Denn wenn über 1.000 Kommunen eine  Wärmeplanung anstoßen, entsteht ein riesiges marktwirtschaftliches Potenzial.

e|m|w.trends:
Wo führt der Weg von Enersis in der nächsten Zeit hin?

Koller:
Zunächst freuen wir uns, dass wir trotz Corona ein sehr erfolgreiches Jahr hinter uns haben. Die Nachfrage nach unseren Lösungen wächst und das ist auch das Ziel für das Unternehmen. Wir sind heute schon mit Standorten in der
Schweiz und in Deutschland aktiv. Wir wollen unser Geschäft weiter internationalisieren und unsere Produkte in weiteren europäischen Ländern anbieten, beispielsweise in Frankreich und Großbritannien. Dazu spüren wir, dass das Klimathema auch bei Industrie und Gewerbe immer stärker ankommt. Auch in diesem Segment wollen wir weiterwachsen.

Wenn Sie mehr über aktuelle Fragestellungen, Hintergrundinformationen sowie Best Practises zu zentralen Themen der Branche erfahren möchten, besuchen Sie e|m|w.trends.

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Thomas Koller

info@enersis.de

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