Kommunale Wärmeplanung 2.0 – digital und zukunftssicher
"Um die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen, muss insbesondere der Gebäudebereich noch einen deutlich stärkeren Beitrag zur Emissionsminderung leisten. Damit dies gelingt, braucht es eine ganzheitliche Planung und intelligente Lösungen. Die Digitalisierung bietet hierbei mit smartem Datenmanagement und künstlicher Intelligenz Chancen, die noch viel zu selten genutzt werden." Christian Freericks, Tobias Nusser
Im Jahr 2018 stammten 30 Prozent der Gesamtemissionen direkt oder indirekt aus Gebäuden. Auch wenn sich der Treibhausgasausstoß des Gebäudesektors seit 1990 fast halbiert hat, steht fest: Ohne Wärmewende keine Energiewende.
Um die Netto-Treibhausgasneutralität bis 2045 zu erreichen, muss der Gebäudebereich seine Emission nochmals um 45 Prozent bis 2030 reduzieren, auf dann 67 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente – eine Herkulesaufgabe, die neue Herangehensweisen erfordert.
Wärme als zentrales Thema
Mehr als die Hälfte des gesamten Endenergieverbrauchs entfällt auf Wärmeanwendungen, in privaten Haushalten sind es sogar 90 Prozent. Der größte Anteil hiervon entfällt auf Raumwärme und Warmwasserbereitstellung. Dabei sind vielfach noch veraltete und ineffiziente Heizsysteme im Bestand im Einsatz, deren Austausch enorme CO2-Einsparungen realisieren könnte.
Neben dem energetischen Zustand der Gebäudehülle spielt die Effizienz des Wärmeerzeugers und die Wahl des eingesetzten Energieträgers eine bedeutende Rolle für die Emissionsreduktion des Gebäudes. Um hier Anreize für eine Verbesserung im Bestand und einen möglichst hohen Standard im Neubau zu setzen, kommt den Kommunen eine zentrale Rolle zu. Sei es durch Information und Aufklärung im Rahmen der Energieberatung, der finanziellen Förderung von Erneuerbare-Energie-Anlagen oder durch die Setzung des planungsrechtlichen Rahmens im Wege der Bauleitplanung.
Integrierte Planung ist nötig
Damit der „große Wurf“ für die Wärmewende gelingt, ist ein ganzheitlicher Planungsansatz nötig. Denn Klimaneutralität erfordert die konsequente Transformation des bisherigen Energiesystems. Die strategische Wärmeplanung auf kommunaler Ebene birgt hierbei die Chance, die Gebäudeinfrastruktur in den Städten im Gesamtkontext zu analysieren und zu bewerten. Die verschiedenen Teilbereiche des Energiesystems und ihre Zusammenhänge gilt es ebenso zu modellieren wie ihre komplexen Interaktionen mit externen Variablen, z.B. der soziodemografischen Entwicklung oder der Flächennutzung.
Intelligente digitale Systeme ermöglichen es, diese komplexe Aufgabe für Kommunen handhabbar zu machen. So lassen sich durch die Kombination und Aufbereitung von Daten Wärmesenken aufzeigen und gleichzeitig Wärmequellen aus den Sektoren Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft in Form von u.a. Prozessabwärme identifizieren. Von besonderer Relevanz ist die räumliche und quantifizierte Erfassung der erneuerbaren Wärmepotenziale. Eine fundierte, ingenieurstechnische Analyse bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Umsetzung von Maßnahmen. Werden diese Informationen weiterhin mit Daten zu Netzinfrastrukturen, Speichern und Mobilitätsanwendungen verbunden, nähert man sich kontinuierlich dem ganzheitlichen Bild, das es für die erfolgreiche und kosteneffiziente Wärmewende braucht.
Von den Nachbarn lernen
Dänemark gilt als das Musterbeispiel für eine erfolgreiche kommunale Wärmeplanung. Doch auch der Blick in die Schweiz lohnt sich, um von erfolgreicher Wärmeplanung zu lernen. Sie ist dort auf Kantonsebene durch das Instrument der räumlichen Energieplanung geregelt. Die Gemeinden können hierbei auf die Unterstützung der Kantone und des Bundes zugreifen. So stellt der Kanton Zürich über seinen GIS-Browser Energiedaten zur Verfügung, die für die Wärmeplanung verwendet werden können. Das Problem: Der Aufwand, diese Daten manuell zu verarbeiten, ist für viele Gemeinden zu groß, weshalb die Energiepläne oftmals statisch und für 15 Jahre unverändert bleiben.
Regensdorf im Kanton Zürich geht einen anderen Weg. Sie hat sich als Pilot-Kommune für die Gemeinde-Energieplattform entschieden, die der Energieversorger Energie 360° gemeinsam mit enersis entwickelt hat. Mithilfe der Plattform lassen sich gebäudebezogenen Energiedaten visualisieren und eine dynamische, stets aktuelle und zukunftsorientierte Planung ermöglichen. Damit hat Regensdorf die Wärmewende bereits voll im Griff.
Situation in Deutschland
Das erste deutsche Bundesland, das seine größeren Städte zur kommunalen Wärmeplanung verpflichtet und dafür konkrete Vorgaben macht, ist Baden-Württemberg. Die Landesenergieagentur KEA-BW unterstützt alle Gemeinden im Land u.a. mit dem Leitfaden „Kommunale Wärmeplanung“, bei dem das Ingenieurbüro EGS-plan beratend mitgewirkt hat. Dr. Max Peters, Leiter des Kompetenzzentrums Wärmewende bei der KEA-BW, sieht hierin einen „strategischen Fahrplan, der der Energiewende die nötige Orientierung gibt“ und betont, wie wichtig es sei, alle Akteure vor Ort frühzeitig einzubinden und eine digitale Vernetzung sicherzustellen.
Daneben sieht auch das Energiewende- und Klimaschutzgesetz Schleswig-Holstein (EWKG) die kommunale Wärmeplanung vor. Bisher freiwillig, soll diese nach dem ersten Entwurf der EWKG-Novelle künftig für größere Kommunen verpflichtend sein. Auch Hamburgs Klimaschutzgesetz schreibt das Aufstellen einer Wärmeplanung vor. Beide Länder bleiben mit ihren Detailvorgaben allerdings hinter denen Baden-Württembergs zurück.
Darüber hinaus plant das BMWi auf Bundesebene die kommunale Wärmeplanung als Baustein der Klimaschutzgesetzgebung im Bund fest zu etablieren. Hierzu soll in Halle an der Saale ein neues „Kompetenzzentrum Wärmewende“ aufgebaut werden.
Digitalisierung und Vernetzen sind der Schlüssel
Damit eine integrierte und ganzheitliche Wärmeplanung gelingt, braucht es Daten. Das Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg ermächtigt die Kommunen zwar, die relevanten Daten zu erheben (§7e KSG BW), das reicht aber nicht. Für eine effiziente Wärmeplanung braucht es elektronische Daten. Da Unternehmen im Rahmen ihrer statistischen Auskunftspflicht ohnehin Online-Meldeverfahren wie IDEV oder .CORE nutzen müssen, erscheint dies auch für die Wärmeplanung zielführend, um Zusatzaufwand zu minimieren.
Auf Landesebene könnte so ein Energiedatenkataster nach schweizerischem Vorbild aufgebaut werden, welches mittels geeigneter Software zur Planung auf verschiedenen Gebietskörperschaftsebenen genutzt werden kann. Durch das Clustern von Quartieren mit ähnlichen Wärmeerzeugungs-, Verteilungs- und Verbrauchsstrukturen lassen sich so Maßnahmen ableiten, die in mehreren Gemeinden zur Anwendung kommen können. So findet ein kontinuierlicher Wissenstransfer statt und Best Practices werden automatisiert erkannt. Mit den zentral erfassten Daten aus der kommunalen Wärmeplanung kann das übergeordnete politische Ziel einer strategischen und zukunftsfähigen Energieleitplanung auf Landesebene Realität werden.
Eine Investition in die Zukunft
Eine intelligente Wärmeplanung, die alle Akteure einbindet, ist das Fundament für eine bezahlbare, CO2-freie und sichere Wärmeversorgung der Zukunft. Der Aufwand, der zunächst betrieben werden muss, solch ein smartes System aufzubauen, macht sich in kurzer Zeit bezahlt.
Volkswirtschaftlich können Ineffizienzen, die durch redundante Infrastrukturen entstehen, vermieden oder beseitigt werden. Eine höhere Auslastung der tatsächlich benötigten Versorgungsleitungen hat nicht zuletzt geringere Nutzungsentgelte für die Abnehmer zur Folge. Auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht ergeben sich Vorteile durch mehr Planungs- und Investitionssicherheit und weniger Stranded Assets.
Städte und Gemeinden sollten die kommunale Wärmeplanung auch weniger als lästige Pflichtaufgabe sehen, denn als Chance, in die Zukunft zu investieren. Zwar wird die Transformation unseres Energiesystems erhebliche Kosten verursachen, aber mit einer fundierten Wärmeplanung lassen sich wirtschaftlich optimierte Konzeptansätze für das Erreichen der Klimaziele erst ableiten. Mittel- bis langfristig lassen sich darüber hinaus Kosten für die Folgen des Klimawandels wie beispielsweise Überflutungsschäden reduzieren. Für die Konzepterstellung können Kommunen unter gewissen Voraussetzungen zudem Förderungen wie KfW 432 (Energetische Stadtsanierung) oder z.T. Landesfördermittel beantragen.
Die erfolgreiche kommunale Wärmewende leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, attraktive und lebenswerte Orte für Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Zu guter Letzt bringt dies künftigen Zuzug und höhere Steuereinnahmen ein.
Die kommunale Wärmeplanung ist der Routenplaner dorthin und dieser ist zweifelsfrei digital und vernetzt.
Publiziert in der Auflage 06/2021 der Fachzeitschrift Gebäude-Energieberater. Zum Artikel